Dettagli
Categoria: Turismo
Pubblicato Sabato, 11 Dicembre 2010 16:25

Der Mythos Venezia

Uwe G. Fabritzek

Um sich dem „Mythos Venezia“ zu nähern, ist es sinnvoll, diese Mythen nach ihrem Inhalt zu untersuchen. Dabei lassen sich folgende Kategorien unterscheiden:

- Die Mythen über die Entstehung Venezias

Flavio Magno Aurelio Cassiodoro (494- ca. 583) begründet die Mythen über Venezia mit seinem berühmten Brief von 537, erstes schriftliches Zeugnis über Venezias frühe Geschichte, mit seiner Beschreibung des Lebens in der Lagune.

Sein Brief weiß Erstaunliches zu berichten: So lebten die Bewohner der Lagune „in großer Harmonie“ -„Arme und Reiche leben in Gleichheit“ („in uguaglianza“), „einer neben dem anderen, wie die Vögel in ihren Nestern…“, „eine einzige Nahrung ernährt alle“ („un solo cibo vi nutre tutti“) - die Fische des Meeres und der Flüsse. Mit ihren Booten „befahren sie die unendlichen Räume... der Adria“, „geführt von starken und mutigen Händen“. Vor den Hütten ist kein Pferd angebunden sondern ein Boot - und wo andere die Felder kultivieren drehen die Venezianer „die Zylinder“, um das Meersalz zu gewinnen, das sie „wie Geld benutzen“, um andere Waren einzutauschen oder zu kaufen.

Damit war der „Mythos Venezia“ als der einer Stadt geboren, die anders war als alle anderen, ein Mythos, der über Jahrhunderte von Künstlern, Dichtern und Diplomaten aller Nationen fortgeschrieben wurde: Venezia ist Venezia - einzigartig in seinen urbanen Strukturen auf diesem Planeten.

Mit im Zentrum dieser Berichte stand die Frage nach der Herkunft dieses Staatswesens, an deren Beantwortung die Serenissima ein eigenes Interesse hatte: Das legendäre Gründungsdatum, der 25. März des Jahres 421, fällt nicht zufällig mit der „Verkündigung Mariens“ zusammen - Venezia entstand buchstäblich „aus dem Wasser“, im Monat der Erschaffung der Welt und der Zeugung von Jesus Christus!

Dem entsprechen die Aussagen vieler Zeugen über die Tugenden Venezias: Thomas von Aquin, der um 1265 sagte, dass der „Doge als einziger Herrscher kein Tyrann... sei“. Petrarca spricht hundert Jahre später von der „Miraculosissima Venetiae Civitas“ als dem Ort der „Zuflucht der Menschheit“, als „einziger Heimstatt von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden“. Machiavelli rühmt die „beste politische Ordnung, die... jemals ein Staat... besaß...“. Ähnliches wird von Savonarola und Donato Gianotti geäußert. 1452 hatte Georg von Trapezunt Venezia bezogen auf Platons „Nomoi“, als „Idealstaat“ bezeichnet. Philipp II. von Spanien nahm gar an, dass die Verfassung Venezias „von Gott selbst entworfen... sei“.

In diesen Kontext gehören auch die Mythen um den Schutzheiligen der Stadt, San Marco, die sich auf „den himmlischen Ursprung“ wie den „immerwährenden göttlichen Schutz“ der Stadt beziehen. Die pompösen Festlichkeiten und Umzüge, deren ältestes das Ritual der Vermählung des Dogen mit dem Meer (Lo sposalizio del mare -„sensa“) seit 999 ist, stehen nur scheinbar im Widerspruch zu den meist gespannten Beziehungen zum Papst: Venezianische Frömmigkeit als Instrument der inneren Solidarisierung und gleichzeitiger Ausdruck der Unabhängigkeit vom Papsttum. Verständlich, dass nicht nur in Rom die in Venezia praktizierte Vermischung christlich-religiöser Themen und Symbolik mit griechisch-antikem Mythos und Allegorien zur Glorifizierung venezianischer Staatsinsignien mit Befremden und Verärgerung zur Kenntnis genommen wurden.

- Der Mythos der „Serenissima miraculosissima civitas“

Francesco Petrarca sprach im frühen 14. Jahrhundert als erster von Venezia als der „Erlauchtigsten“ und „Wunderreichsten“, Bezeichnungen, die von zahlreichen Bewunderern aufgenommen und verbreitet wurden. Gegenstand der Verehrung war Venezia als „Wunderwerk“, ihre Gestaltung mit prächtigen Palästen, großen Kirchen, weiten Plätzen, hohen Kirchtürmen. Dabei war es neben ihrer einzigartigen Lage, gleichsam „im Meer gebaut“, der Reichtum und Prunk, die Ausmaße der Bauten, ihre kostbare Einrichtung und Ausgestaltung mit Arkaden, verzierten Fensterbögen, Fresken und Mosaiken, die alle Welt erstaunten. Die Berichte einst privilegierter Reisender von dieser märchenhaften Welt wurden Grundlage für ein Bild von Venezia, das nicht immer den Gegebenheiten entsprechen musste.

Der öffentlich zur Schau gestellte Prunk war Gegenstand von Bewunderung wie von Neid und Missgunst. Schilderungen der verschwenderischen Feste gibt es aus allen Jahrhunderten. Eine aktuelle Zusammenstellung zitiert weit über zweihundert derartige Berichte.

Der Ursprung des „Mythos Venezia“ liegt also in ihrer Andersartigkeit begründet: anders ihre Lage in der Lagune, anders ihr demokratisches Regierungssystem, anders vor allem ihr „göttlicher Ursprung“.

Anders schließlich, weil unendlich reich durch Seefahrt und Handel, anders, weil Künstler aus aller Welt zu einer ungemein prächtigen Ausgestaltung der öffentlichen und privaten Räume der Stadt geführt hatte.

Ergänzt wurde dies durch einen psychopolitischen Faktor: Das alles umgebende, immer präsente, sich immer in Bewegung befindliche Meer, übte und übt bis heute auf alle Menschen eine betörende Wirkung aus: Beruhigend, die Seele berührend, zugleich alle Sinne ansprechend. Venezia „urbis navalis“, erhaben inmitten der Wellen („in mediis undis“) schwebend (Antonio de Ferraris).

Die Mythenbildung um die Andersartigkeit Venezias bezieht sich ausschließlich auf die Zeit vor 1797, der Besetzung durch Frankreich. Die Berichte seither beschreiben eher, was von der „Serenissima“ geblieben ist - eine „verfallende Stadt in brackigem Wasser“, vom Untergang bedroht, ein „edelsteingeschmücktes Sitzbad kosmopolitischer Kurtisanen“ (Filippo Marinetti).

So ist der „Mythos Venezia“ heute nur mehr ein „Mythos vom Mythos“ und kaum einer der Besucher von heute weiß über die historische Größe der einstigen „Serenissima“.

Scheinbar unbeirrt davon bleibt nur Venezia selbst, die mit Gleichmut und Stolz die Irrungen und Wirrungen seit 1797 erträgt - und allen Untergangsszenarien zum Trotz wie eh und je majestätisch in der Lagune schwebt, steinernes Zeugnis einer stupenden Vergangenheit. Venezia trionfante?!

 

(2007-2 pag 20)

Joomla Plugin
Cookies make it easier for us to provide you with our services. With the usage of our services you permit us to use cookies.
More information Ok Decline